Denkmäler der Tonkunst in Österreich

Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich

Hans Richter

Hans (Johann) Richter stammte aus Ungarn, er wurde am 4. April 1843 in Raab/Györ als Sohn des dortigen Domkapellmeisters Anton Richter (1802-1854) und der Sängerin Josefine Czasensky (1822-1892) geboren. Die Familie des Vaters stammte aus Freudenthal in Schlesien, diejenige der Mutter aus Tabor in Böhmen. Von der Mutter erhielt er ab dem vierten Lebensjahr Klavierunterricht, und er wirkte auch bei Aufführungen des Domchores mit. Sein Debut als Pianist gab er in seiner Heimatstadt im Alter von zehn Jahren, er spielte den Klavierpart in einem Klavierquintett von Johann Nepomuk Hummel.

Nach dem frühen Tod des Vaters 1854 kam Richter als k.k. Sängerknabe (Altist) in das Löwenburgische Konvikt nach Wien, wo er bis zu seinem Stimmbruch 1858 blieb. Ab 1858 studierte er am Wiener Konservatorium Horn bei Wilhelm Kleinecke, ferner Musiktheorie und Komposition bei Simon Sechter, Violine bei Carl Heissler, Orchesterstudien beim Direktor des Konservatoriums, Josef Hellmesberger, u. a. 1862-1866 war er Hornist am Theater vor dem Kärntnertor. 1866 erhielt er von Hofkapellmeister Heinrich Esser ein Befähigungszeugnis als Kapellmeister. Als Richard Wagner im gleichen Jahr von Esser einen Assistenten erbat, schickte dieser Richter zu Wagner nach Triebschen, um die Druckvorlage der Meistersinger-Partitur herzustellen (später folgte auch der Siegfried). Daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft, so war Richter z. B. Trauzeuge bei der Hochzeit Wagners mit Cosima, und als Richter 1875 Marie von Szitányi heiratete, schenkte ihm Wagner die Partitur zum Rheingold und verfaßte ein Gedicht. Richter wurde auch Schüler Wagners, 1868 arbeitete er als Assistent und Chordirigent bei Einstudierung und Aufführung der Meistersinger in München. Dort wurde er noch selben Jahr zum königlichen Musikdirektor ernannt, demissionierte aber 1869, weil er sich weigerte, die gegen Wagners Willen angesetzte Uraufführung des Rheingold zu dirigieren, da dieses Werk noch zuwenig geprobt worden war. 1870 leitete er die Erstaufführung des Lohengrin in Brüssel und kehrte in der Folge als Sekretär Wagners nach Triebschen zurück.

1871 wurde er als Kapellmeister ans Nationaltheater in Budapest, 1875 als Nachfolger Otto Dessoffs an die Wiener Hofoper berufen. Daneben leitete er 1875-1898 die Philharmonischen Konzerte und 1884-1890 die der Gesellschaft der Musikfreunde, die ihn 1891 zu ihrem Ehrenmitglied ernannte. 1877 wurde er Vizehofkapellmeister, vom 20. 3. 1893 bis 4. 3. 1900 war er erster Hofkapellmeister. Während dieser Zeit dirigierte Richter des öfteren Werke von Johann Sebastian Bach (Matthäuspassion, 1. vollständige Aufführung der h-moll-Messe und des Weihnachtsoratoriums) und Georg Friedrich Händel (Oratorium Saul). Auch die Missa solemnis von Beethoven und die Schöpfung von Haydn sowie das Deutsche Requiem von Brahms, das Stabat Mater von Antonín Dvořák und das Te Deum und Requiem von Franz Liszt wurden unter Richters Leitung aufgeführt.

1876 war er Dirigent der ersten vollständigen Aufführung des Ringes des Nibelungen in Bayreuth. 1877 war er gemeinsam mit Wagner in England und entwickelte seither dort eine immer ausgedehntere Dirigententätigkeit. Der Erfolg manifestierte sich unter anderem in der Verleihung der Ehrendoktorate von Oxford und Manchester.

1898 trat Richter, nachdem Gustav Mahler 1897 Dirigent der Wiener Hofoper geworden war, als Dirigent der philharmonischen Konzerte zurück (am 16. 12. 1886 hatte er sein 100. Konzert mit diesem Orchester dirigiert) und zwei Jahre später, am 4. 3. 1900 legte Hans Richter nach einer Reorganisation der Hofmusikkapelle, die eigentlich das Ende der Institution im alten Sinn bedeutete, das Hofkapellmeisteramt nieder und ging zunächst nach Moskau, wo er Tschaikowskys Pathétique dirigierte. Im gleichen Jahr übersiedelte nach Manchester, wo er zunächst das Hallé-Orchester leitete und dann auch weitere prominente musikalische Aufgaben erhielt (London Symphony Orchestra, Covent Garden Opera). Daneben dirigierte er ständig in Bayreuth. Am 19. 9. 1912 fand Richters letztes öffentliches Auftreten als Dirigent statt. Er dirigierte in Bayreuth Wagners Meistersinger. Bayreuth wählte er auch zu seinem Ruhesitz (1913 wurde er Ehrenbürger der Stadt) und starb dort am 5. Dezember 1916.

Für Richters Berufung in die Leitende Kommission der Denkmäler war sicherlich seine Stellung als Hofkapellmeister bestimmend. Eine Beziehung zu älterer Musik (abgesehen von Schütz, Bach und Händel) scheint bei Richter nicht vorgelegen zu sein. Verbindend zwischen Adler und Richter könnte allenfalls der gemeinsame Einsatz für Richard Wagner gewesen sein.

Lit.: Christopher Fifield, True Artist and True Friend: a Biography of Hans Richter. Oxford 1993 – Eleonore Schacht-Richter, Hans Richter. Leben und Schaffen des großen Dirigenten, dargestellt von seiner Enkelin Eleonore Schacht-Richter. Hsg Deutsche Wagner-Gesellschaft e.V. Bayreuth. Berlin 1995 – Ingrid Fuchs, in: Anton Bruckner. Ein Handbuch. Hsg. Uwe Harten. Salzburg-Wien 1996, S. 367 f. – Peter Jost, in: MGG 2. Aufl., Personenteil 14 (2005) Sp. 35 f. – Alexander Rausch, in: Österreichisches Musiklexikon 4 (2005) S. 1291 f. (weitere siehe MGG)

letzte Änderung: 11.03.2009     •     Text: Susanne Antonicek     •     Webeinrichtung: Konrad Antonicek