Der bedeutende Mittelalter-Historiker Engelbert Mühlbacher wurde am 4. Oktober 1843 in Gresten/NÖ als Sohn eines aus Traunkirchen stammenden Schmieds geboren. Er besuchte das Gymnasium in Linz und trat nach dessen Abschluß 1862 in das Chorherrenstift St. Florian ein, an dessen Hauslehranstalt er Theologie studierte. 1866 legte er die feierlichen Gelübde ab, 1867 wurde er zum Priester geweiht und war dann bis 1872 in der Seelsorge tätig. Wohl angeregt und gefördert durch die Historikerschule von St. Florian, der auch der damalige Abt Jodok Stülz angehörte, betrieb und veröffentlichte er landesgeschichtliche Studien. Nachdem Mühlbacher eine gegen das Unfehlbarkeitsdogma von 1870 gerichtete Liste unterschrieben hatte, trat offensichtlich eine zunehmende Distanz zu seinem geistlichen Beruf ein. Die Arbeit an einer Literaturgeschichte des Stiftes, die er 1871 begonnen hatte, brach er 1877 ab und hat sich seither, ohne einen Austritt zu vollziehen, von seinem Orden immer mehr abgesetzt. 1872-1874 studierte er in Innsbruck Geschichte unter Julius von Ficker. Im Jahr seiner Promotion (mit einer Dissertation über die Papstwahl des Jahres 1130) wurde er von Ficker mit der Bearbeitung der Karolinger-Regesten betraut, womit er sein Hauptarbeitsgebiet gefunden hatte. 1874-1876 absolvierte er als ao. Mitglied den Kurs des Institutes für österreichische Geschichtsforschung in Wien unter Theodor von Sickel. 1878 erfolgte in Innsbruck seine Habilitation für historische Hilfswissenschaften, die 1880 für Geschichte des Mittelalters erweitert wurde. 1879 begründete er die Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung (MIÖG), deren Herausgeber er bis zu seinem Ableben blieb. 1881 erhielt er eine außerordentliche Professur für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien, wo er schließlich 1896 – mit Verzögerung wegen seiner unklaren geistlichen Stellung – zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Im selben Jahr wurde Mühlbacher auch Direktor des Institutes für österreichische Geschichtsforschung, das unter ihm einen Höhepunkt internationalen Ansehens erreichte. 1885 wurde er zum korrespondierenden, 1891 zum wirklichen Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gewählt. Von dieser wurde er 1891 in die Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica (MGH) entsandt. Dort übernahm er im nächsten Jahr die Edition der Karolingerdiplome. In der Akademie hat er verschiedene Institutionen begründet und betreut: die Kommission für neuere Geschichte Österreichs, den Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer, die Edition mittelalterlicher Bibliothekskataloge und österreichischer Urbare.
Engelbert Mühlbacher starb am 17. Juli 1903 an Herzversagen infolge einer verschleppten Lungenentzündung. Er erhielt ein ehrenhalber gewidmetes Grab am Döblinger Friedhof.
Mühlbachers Berufung in die Leitende Kommission der Denkmäler erfolgte im Hinblick auf seine Stellung als führender Experte für das Mittelalter und vor allem für Paläographie, auf die Adler (wohl vor allem im Hinblick auf die Arbeit an den Trienter Codices) größten Wert legte und für die es im Fach selbst keinen wirklich Kompetenten gab (auch Übertragungen des zweifellos erfahrenen Oswald Koller wurden auf Adlers Bitte von Mühlbacher kontrolliert; Mühlbacher und nach ihm Hans Hirsch hielten Paläographie-Kurse für die Studenten der Musikwissenschaft). Die Bekanntschaft zwischen Mühlbacher und Adler lag offensichtlich schon länger zurück. Adler berichtet, er sei „noch als Privatdozent ein Schüler Engelbrecht [sic] Mühlbachers“ geworden (Guido Adler, Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers. Wien 1935, S. 20), das heißt zwischen 1882 und 1885. Ob dies der Beginn ihrer Beziehungen war, läßt sich nicht sagen. Adler mag in Gefolge seines Interesses an der Paläographie die Bekanntschaft des anerkannten Fachmannes auf diesem Gebiet gesucht haben. Mühlbacher blieb auch weiterhin sein Konsulent für paläographische Belange, umgekehrt zog Mühlberger Adler in musikalischen Dingen als Berater und Mitarbeiter heran. Sie kamen sich auch persönlich nahe, beispielsweise besuchte Mühlbacher Adler in dessen Sommerdomizil in Siegenfeld in der Nähe von Baden bzw. Gaaden.
Ihre freundschaftliche Beziehung wird durch 28 Schriftstücke aus dem Nachlaß Mühlbachers im Institut für Österreichische Geschichtsforschung dokumentiert. Diese beginnen im Mai 1887; Mühlbacher zog Adler als Auskunftsperson für seine damals in den MIÖG (8/1887 S. 601–604) erschienene Arbeit Ein Lied auf K. Odo von Westfrancien heran. Adler bat 1888 Mühlbacher, ihm das Organisationsstatut der Monumenta historiae Germanica zu verschaffen, das er offensichtlich als Vorbild für die damals in Planung befindlichen DTÖ benützen wollte. Adler schrieb über Aufforderung Mühlbachers für die MIÖG Rezensionen der Paléographie musicale (9/1890 S. 327 f.) und von The Notation of the Middle Ages (12/1891 S. 342 f.).
Besonders bemerkenswert im Hinblick auf die Denkmäler erscheint es, daß Kursteilnehmer am Institut durch Vermittlung Mühlbachers (Institutsdirektor war damals noch Heinrich von Zeißberg) offensichtlich für Projekte Adlers arbeiteten. Am 8. 7. 1890 übersandte Adler für diesen Zweck eine „kleine Instruction&“ und bat, „die betr. Herren anzuspornen im Dienst der musbibl. Angelegenheit thätig zu sein“. In solchem Zusammenhang dürfte es auch stehen, daß Adler sich 1891 bei Zeißberg um eine Freistellung Josip Mantuanis für musikalische Arbeiten (in diesem Fall wohl für die Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen) bemühte. Mantuani besuchte 1891–1893 den 19. Institutskurs und schloß ihn mit einer Arbeit über Ikonenmalerei der Ottonenzeit ab (Leo Santifaller, Das Institut für österreichische Geschichtsforschung. Wien 1950, S. 116). Die über Bitten Adlers 1896 erfolgte Überprüfung von Kopiaturen Oswald Kollers war vielleicht kein Einzelfall.
Als die Denkmäler 1893 auch offiziell ins Leben traten, war Mühlbacher vom Anfang an dabei. Am 28. 9. 1893 lud Adler Mühlbacher zur Teilnahme an der konstituierenden Sitzung der Leitenden Kommission der Denkmäler am 3. Oktober ein. Der Wortlaut des Schreibens läßt darauf schließen, daß die Sache bereits besprochen war und es nur um die Mitteilung des Datums ging. Wohl um Mühlbacher nicht abzuschrecken, setzte Adler das Versprechen hinzu „Ihren kostbaren paleographischen Rath nicht zu oft einzuholen“. Mühlbacher hat sich dann auch an der Formulierung der Statuten beteiligt (unter den erwähnten Briefen befindet sich ein gedruckter Statuten-Entwurf mit handschriftlichen Korrekturen Mühlbachers). Am 11. März 1901 entschuldigte sich Mühlbacher für eine an diesem Tag stattfindende Sitzung der Denkmäler und bot bei dieser Gelegenheit, im „Bewußtsein, für das Unternehmen doch nichts Sonderliches leisten zu können“, seinen Rückzug aus der Kommission an. Adler reagierte umgehend mit beschwörenden Worten, diesen Vorsatz nicht auszuführen, er „lege großen Werth auf Ihr ferneres Verbleiben in der L[eitenden] C[ommission] u bitte Sie, Ihr Vorhaben nicht auszuführen“. Dabei ist es auch verblieben, Mühlbacher war bis an seinen Tod Mitglied der Kommission.
Hauptwerke: Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918 Bd. 1. 1. Aufl. Innsbruck 1880–1889 (erschien in Faszikeln), 2. Aufl. Innsbruck 1899–1904. – Deutsche Geschichte unter den Karolingern. Stuttgart 1896, Neuauflagen und Nachdrucke 1959, 1972, 1980, 1984, 1999. – Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen (Monumenta Germaniae Historica, Diplomata Karolinorum 1). Hannover 1906 (postum), Nachdrucke 1978, 1991.
Lit.: Berthold Otto Cernik, Die Schriftsteller der noch bestehenden Augustiner-Chorherrenstifte Österreichs. Wien 1905, S. 160–164. – Alphons Lhotsky, Österreichische Historiographie. Wien 1962 (siehe Register). – Heide Dienst, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 6 (1975) S. 405 f. – Karl Rehberger, Die St. Florianer Historikerschule, in: Ostbairische Grenzmarken 21 (1979) S. 144–154, bes. 151 f. – Friedrich Buchmayr in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 15 (1999) Sp. 1037–1041. – wikipedia (Stand 2. 12. 2008)
letzte Änderung: 20.12.2010 • Text: Theophil Antonicek • Webeinrichtung: Konrad Antonicek