Josef Böhm wurde am 9. Februar 1841 in Knihnitz (Knihnice) bei Boskowitz (Boskovice) in Mähren als Sohn des dortigen Lehrers Carl Böhm und der gleichfalls aus einer Lehrerfamilie stammenden Vincenzia geb. Schön geboren. 1846 erhielt der Vater eine Lehrerstelle in Subři (Šubířov pol. Bez. Mährisch Trübau, Ger.bez. Gewitsch/Jevíčko?) in Mähren. Den ersten Unterricht erhielt er vom Vater, der auch Organist war und verschiedene andere Musikinstrumente spielte und den Sohn in Gesang, Klavier- und Orgelspiel unterrichtete, sodaß ihn dieser bei der Kirchenmusik unterstützen konnte. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte Josef an das Untergymnasium in Brünn und kam 1855 an die vom Hofkapellmeister Ignaz Assmayr geleitete Akademie der Tonkunst in Wien, wo er Klavier, Orgel, Komposition, Instrumentation und Dirigieren bei Carl Maria von Bocklet, Lorenz (?) Hauptmann, Franz Krenn und Carl Grädener studierte. Der Tod des Vaters in Blauda (Bludov, Bez. Mährisch Schönberg), wohin er 1854 übersiedelt war, bedeutete für die Familie – Böhm hatte vier jüngere Geschwister – einen schweren Schlag. Dennoch konnte Josef Böhm das zweite Jahr an der Akademie absolvieren und trat dann in den einjährigen Lehrerkurs in Brünn ein. Danach wirkte er als Erzieher im Haus des Fabrikanten Hille, seit 1859 war er Assistent an der Haupt- und Realschule in Mährisch Schönberg. Nach seinem Auftreten beim dortigen Sängerbund- und Turnerfest 1864 (wohl als Pianist oder Organist) wurde er von August Maria (Anton M.) Storch, Zdenko Fibich und Eduard Tauwitz aufgefordert, sich einen seinen Fähigkeiten entsprechenden Wirkungskreis zu suchen. Nachdem ihn auch der spätere Direktor des Prager Konservatoriums Anton Benewitz und der Landtagsabgeordnete Dominik Stolz im gleichen Sinn zugeredet hatten, ging er 1864 nach Wien, wo er zunächst Klavier in der Erziehungsanstalt Bilka unterrichtete und daneben nochmals an der Akademie der Tonkunst studierte. 1865 erhielt er nach einem Konkurs die Organistenstelle an der von den Barnabiten betreuten Hof- und Stadtpfarrkirche St. Michael, wo sein Lehrer Krenn Regens chori war. 1865–1868 war er auch Musiklehrer am Lehrernoviziat der Schulbrüder im k.k. Waisenhaus. 1867 wurde er Regens chori an der gleichfalls von den Barnabiten geführten Pfarre Maria Hilf. Hier wirkte er im Sinne der Reformbestrebungen des Cäcilianismus und geriet dadurch in Widerspruch zum Pfarrer der Kirche, was 1875 zu seinem Abgang führte. Seit 1868 war er auch Musiklehrer an der Lehrerpräparandie zu St. Anna, wo er im Rahmen des dort seßhaften Vereins zur Beförderung echter Kirchenmusik und einer von ihm schon 1867 begründeten Privatmusikschule seine Bestrebungen fortsetzte, mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche heranzuziehen, die später in seinem Sinne wirken sollten. Als 1871 dem genannten Verein der Musikunterricht an der Präparandie entzogen wurde, unterzog sich dieser unter Führung Böhms einer Neuorganisation und nannte sich seither Wiener Cäcilien-Verein. Der erste Jahresbericht des Vereins brachte einen programmatischen Artikel Böhms Zur Reform der Kirchenmusik, in dem er seine Anforderungen an die Kirchenmusik – erhaben und edel, einfach und der Liturgie angemessen – niederlegte. Unter diesen Voraussetzungen sei – hier nahm Böhm gegenüber dem radikalen Standpunkt der deutschen Cäcilianer um Franz Xaver Witt eine gemäßigte Stellung ein – auch der Einsatz von Instrumenten zulässig (Böhm hat selbst die von Witt verdammte Kirchenmusik der Wiener Klassiker, obwohl er sie zwar nur als religiöse, aber nicht als Kirchenmusik anerkannte, zur Aufführung gebracht). An der angeschlossenen Vereinsschule wurde im Sinne Böhms, der dort den Gesangsunterricht erteilte, unterrichtet und gearbeitet. 1872 übernahm Böhm nach dem Rücktritt des Chorleiters des Vereins, Ernst Stoiber, dessen Funktion, die er 1875 aufgrund seiner heftigen Zwistigkeiten mit dem Pfarrer niederlegte.
1876 wurde Böhm als Musiklehrer an das fürsterzbischöfliche Priesterseminar berufen. Mit zwei in diesem Jahr erschienen Schriften, Der Gesangunterricht und dessen nothwendige Reform an den öffentlichen Schulen Oesterreichs und Der gegenwärtige Zustand der katholischen Kirchenmusik und des kirchlichen Volksgesanges in Wien und Umgebung, griff er die bestehenden Zustände (unter anderem auch an der Hofmusikkapelle unter Johann Herbeck und Gottfried Preyer) vehement an und rief damit die Gegnerschaft weiter Teile des Klerus und der Musiker hervor. Zu seinen Forderungen gehörten neben solchen bezüglich der Musik und deren Aufführung auch musikalische Bildung des Klerus und Heranziehung wirklich geeigneter Musiker sowie auch deren angemessene Bezahlung. 1877 ernannte ihn die k.k. Statthalterei zum Kapellmeister an der Kirche am Hof. Da hier seine Bestrebungen bei den dort aufeinanderfolgenden Pfarrern auf Zustimmung stießen, konnte er eine Kirchenmusik ganz in seinem Sinne aufbauen und machte die Kirche am Hof zum Zentrum des Cäcilianismus in Wien. 1878 rief er die Wiener Blätter für katholische Kirchenmusik ins Leben, die er mit einem Aufsatz seines 1876 verstorbenen Freundes August Wilhelm Ambros zur Reform der Kirchenmusik eröffnete, und organisierte Instruktionskurse für Kirchenmusiker, die allerdings zunächst nicht fortgesetzt wurden. In dieser Zeit erhoben sich auch Streitigkeiten, teilweise persönlicher Art, innerhalb der cäcilianischen Bewegung, unter anderem mit Johann Evangelist Habert in Gmunden. 1880 legte Böhm nach schweren inneren Machtkämpfen, deren Hintergrund nicht sichtbar wird, ebenso wie der als Präses fungierende Pfarrer Ignaz Fürst seine Funktionen beim Wiener Cäcilien-Verein zurück. Böhm initiierte daraufhin die Gründung eines Niederösterreichischen Kirchenmusik-Vereins, aus dem schließlich der Allgemeine Kirchenmusikverein St. Ambrosius wurde. Dieser trat 1881 mit Billigung des Wiener Fürsterzbischofs Rudolf Kutschker ins Leben. Die Wiener Blätter erhielten demgemäß den neuen Titel Ambrosius-Blatt (es hielt sich allerdings nur bis 1883), die Instruktionskurse wurden wieder aufgenommen und hatten Teilnehmer aus vielen Kronländern der Monarchie. An der Vereinsschule trug Böhm die Hauptlast des Unterrichts, den er in praktischen und theoretischen Fächern erteilte. Der Vereinschor, dessen ausdrücklicher Zweck kirchliche Musteraufführungen in Stadt und Land waren, wurde 1884 in Chorakademie des Ambrosius-Vereines umbenannt und demonstrierte in seinen Konzerten auch außerhalb Wiens das cäcilianische Verständnis von Kirchenmusik. Er errang eine prominente Rolle im Wiener Musikleben, was nicht zuletzt in drei der Historischen Konzerte während der Internationalen Musik- und Theaterausstellung 1892 Niederschlag fand, in denen Musik vom mittelalterlichen Choral bis ins 17. Jahrhundert geboten wurde. Ein Instruktionskurs in Troppau, den er 1893 im Auftrag des k.k. Ministeriums für Kultus und Unterricht abhielt, griff seinen seit längerer Zeit geschwächten Gesundheitszustand an. Nach einer Kur in Karlsbad nahm er kurze Zeit seine Tätigkeit in Wien wieder auf, erkrankte aber wieder und starb am 6. November 1893. Er hinterließ seine Witwe Rosa geb. Heinisch und die beiden Söhne Josef und Ernst.
Durch sein eigenes, in Wien sehr prominentes Wirken und das vieler seiner Schüler, die an verschiedenen Kirchen tätig waren, entwickelte sich der Cäcilianismus in Wien und darüber hinaus zur lange Zeit führenden Strömung in der Kirchenmusik, deren Spuren mancherorts und in manchen Vertretern noch weit ins 20. Jahrhundert wirksam blieben. Das sehr plastische Bild, das sein Schüler Josip Mantuani von Böhms unbeugsamer, durchaus auch aggressiver, aber integrer Persönlichkeit gibt, stellt zugleich eine engagierte Programmschrift im Sinne seiner Lehren und ebensolche Abrechnung mit seinen Gegnern dar und bezeugt die Wirkung, die Böhm, den man „mit Recht als Gründer und geistigen Führer des Cäcilianismus in Wien bezeichnen“ könne, auf seine Schüler und Anhänger ausübte.
Die Mitgliedschaft Böhms in der Leitenden Kommission der Denkmäler, in die er sicherlich wegen seiner prominenten Stellung in der Kirchenmusik und seiner Kompetenz im Bereich der alten Musik, die gerade 1892 in den historischen Konzerten der von Adler wesentlich mitgestalteten Musik- und Theaterausstellung eine repräsentative Manifestation erfuhr, berufen wurde, kam in Anbetracht seines baldigen Todes wohl kaum mehr richtig zum Tragen. Böhm war mit Adler seit den frühen Achtzigerjahren in offensichtlich näherer Verbindung. Adler, der bei der Generalversammlung des Ambrosius-Vereins 1882 einen Vortrag zum Thema seiner damals eben fertiggestellten Habilitationsschrift (Studie zur Geschichte der Harmonie) hielt, nahm für Böhm nach dem Tod von August Wihelm Ambros dessen Stellung als musikhistorischer Gewährsmann ein; diese persönliche Beziehung und bewährte Zusammenarbeit mag ein zusätzlicher Grund für Böhms Berufung in die Leitende Kommission gewesen sein. Adler findet sich auch auf der umfangreichen Spendenliste für das Grabmal Böhms am Grinzinger Friedhof.
Lit.: Josef Mantuani, Prof. Josef Böhm. Abriss seines Lebens und Wirkens. Wien 1895. – Mirko Cuderman, Der Cäcilianismus in Wien und sein erster Repräsentant am Dom zu St. Stephan August Weirich 1858–1921 mit thematischem Katalog seines Gesamtschaffens und Darstellung seiner Messen. Msch. Diss. Wien 1960, S. 22-58.
letzte Änderung: 27.12.2008 • Text: Theophil Antonicek • Webeinrichtung: Konrad Antonicek